Sven Nührig und Oliver Eckart – zwei Marketing Experten unter sich:

 

1. Was sind für dich die derzeit spannendsten Märkte & Entwicklungen?

In diesem Kontext die Digitalisierung im Handel: Von stationärem Verkauf zu Omni-Plattform- und Marketplace-Modellen. Marktplätze sind Teil der Handels-DNA. Die Digitalisierung muss es werden. Deutschland hat gerade über 50 Plätze im internationalen Ranking verloren. Auch in der Innensicht zeigt sich, dass es selbst bei Online Playern noch eine Weile dauert, bis man vollständig kunden-, daten- und produktbezogene Prozesse digital und automatisiert einsetzen kann. Nachhaltigkeit wird zu einem Top Thema: Kunden und Mitarbeiter erkennen, dass Profitmaximierung nicht der alleinige Zweck unserer Gesellschaft sein kann. Alles ist miteinander vernetzt. Das war es schon vor der Digitalisierung aber unsere aktuelle Zeit macht es sichtbarer.

2. Sollten Brand und Performance überhaupt klar getrennt werden?

Marketing und Performance sind kein Selbstzweck – sie verfolgen das gleiche Ziel: Kunden- und Umsatzwachstum. Kaufentscheidungen von Kunden durchlaufen in der Regel mehrere Schleifen. Brand und Performance sind dann effektiv, wenn beide die gleichen potentiellen Käufer als solche erkennen und in unterschiedlichen Erlebnis-Abschnitten des Funnels stringent mit abgestimmten Botschaften abholen. Aufgrund von Lücken im Funnel oder einem Botschaften-Wirrwarr gehen Kunden im Wettbewerb ohne Focus und Stringenz leicht verloren.

Brand und Performance können in der Exekution getrennt laufen, weil sie unterschiedliche Prozesse und Aktivitäten verfolgen, brauchen aber eine Abstimmung, wann und wo der Staffelstab jeweils übergeben wird. Brand fokussiert sich sonst nur auf Sichtbarkeit, Reputation oder Wiederkauf – Performance hingegen nur auf Data und Conversion. Einem Schuhhändler haben wir geholfen, Performance, Verkäufertraining, Marketingprozesse und Botschaften unter einer „Big organizing idea“ zu synchronisieren, um je nach Anlass und Kundensegment mit jedem Kontakt jeweils in die gleiche Kerbe zu schlagen. So konnten wir mit relativ kleinen Digitalkampagnen den Traffic und Umsatz online und im Laden steigern. Häufig macht jede Abteilung ihr Ding: eine Abteilung eine Markenkampagne, die „Innovation“ feiert, das Dialog-Team spielt Loyalty-Kampagnen und im Performance-Team laufen wieder andere „Kampagnen“, um Sonderangebote und Topseller zu pushen. Das konvertiert unzureichend und hinterlässt beim Kunden auch keinen bleibenden Eindruck.

3. Kann denn Performance ohne Brand überhaupt funktionieren?

Performance funktioniert grundsätzlich und hat auch einen Awareness Effekt. Bei zunehmendem Wettbewerb oder hohem Innovationsgrad erreicht Performance jedoch ohne Marke schnell ein Plateau – wenn kein „Monopol im Kopf“ geschaffen ist. Kosten steigen rasant schnell. Die emotionale Alleinstellung und das Vertrauen in ein Kundenversprechen sind gerade bei Innovationen oder austauschbaren Produkten essentiell. Eine klare Positionierung und ein integriertes Marketing sind da erfolgreicher, als ein isolierter und rein analytischer Data-Ansatz. Der Mix und die Summe aller Kanäle machen es aus. Nehmen wir den e-Bike Markt: Hier scheinen fast täglich neue Anbieter auf den Markt zu kommen. Worum geht es ihnen? Mobilität? Freiheit? Nachhaltigkeit? Ist das eBike ein Ersatz für bestehende Mobilitätslösungen oder eine Ergänzung? Was ist der Wettbewerb? Nur andere eBikes? Oder auch normale Bikes, eScooter, eVespas, eMotorräder, eCars, Sharing-Konzepte oder spare ich lieber beim eBike und leiste mir ein teures Smartphone? Kurz: Der Prozess der Kaufentscheidung ist differenziert zu betrachten und deutlich komplexer. Wer mit einem Ansatz wie Performance hier isoliert agiert, limitiert sich und hat wenig Aussicht auf profitables und nachhaltiges Wachstum. Nur wenige Menschen werden ohne Markenvertrauen und ohne ein differenziertes Kundenerlebnis – sowohl vor, als auch nach dem Kauf – in ein eBike per click investieren. Die Kaufentscheidung ist das Ergebnis von guter Funnelarbeit. In manchen Bereichen sind auch CRM, Influencer Marketing oder stationärer Handel wichtige Hebel. Wer da nur auf das Performance-Pferd und Neukundenjagt setzt, lässt viel liegen.

4. Was sind die häufigsten strategischen Fehler? Woran scheitern Unternehmen bei der Umsetzung?

Der erste Fehler ist, ohne strategische Leitplanken zu starten. Meist sind die einzelnen Bereiche oder Aktivitäten noch nicht mal falsch – sie sind oftmals einfach nur nicht integriert oder nicht ganz zu Ende gedacht. Nur ein integriertes Marken-Ökosystem lässt eine Planbarkeit und Skalierbarkeit zu.

Ein weiterer Fehler liegt in der Auswahl und fehlerhaften Analyse der Erfolgsmesswerte (KPI). Big Data braucht Small Data, also Schlüssel-Kundenerlebnisse. Häufig wird nur auf monetäre Abschluss-Kennzahlen geschaut und in dem kleinen Konversions-Feld zu Tode zu optimiert. Umsatz, Konversion und Kosten sind Output also Ergebnis des gesamten Funnels. Wer früher im Kaufprozess ansetzt, anlassspezifische Nutzerdaten und „weiche“ Inputfaktoren wie Reputation, Markenvertrauen und Empfehlung misst, kann den Umsatz beeinflussen und planbarer machen. Wenn eine Firma 2% Awareness und eine gute Konversion hat, sollte primär „vorne im Funnel“ die Marke bekannter gemacht oder stärker emotionalisiert werden. Wenn Onlinereservierungen und Pick-up bei einem Restaurant die operative Planung effizienter machen, sollte zügig digitalisiert werden bspw. durch CRM und digitale Services.

Der dritte Fehler ist „Business as usual“ – also immer nach dem gleichen Muster zu verfahren. Routine und Angst vor Fehlern sind Gift für Wachstum. Experimente, Fehler und eine wertebasierte Lernkultur sind notwendig.

5. Hast du Beispiele für Unternehmen mit einer einheitlichen Strategie?

„Great companies are made from great experiences and surprising stories. Brands are their stories.“

Am Ende handeln wir in der Kaufentscheidung alle irrational. VW und Samsung verkaufen mehr Produkte, Apple und Tesla hingegen haben die bessere Geschichte und Marktbewertung.

Solche starken Firmen beherrschen beides und arbeiten Hand in Hand. Sie verfügen über ein integriertes digitales Ökosystem und eine interne Kultur über alle Bereiche, sodass Prozesse wie Zahnräder ineinandergreifen. Konfliktscheue Strukturen sind da hinderlich. Der mittelständische Elektronikhändler Cyberport hat es geschafft, sich als kleiner Anbieter (800 Mio. € Umsatz) gegen Riesen wie Amazon, Saturn, Mediamarkt, notebooksbilliger etc. zu positionieren. Brand & Performance Ansätze sind synchronisiert und die Service Prozesse über alle Plattformen integriert. Kunden können Apple Produkte reparieren lassen, auch wenn sie wo anders gekauft wurden. Wer guten Service erhält, der kommt wieder und empfiehlt weiter. Auch Online Käufer kaufen lieber, wenn sie wissen, dass es im Fall der Fälle eine Anlaufstelle für Service und Beratung in der Nähe oder telefonisch gibt.

Das Ergebnis: Ein sehr erfolgreiches, nachhaltiges Wachstum seit mehreren Jahren. Auch während und nach dem Lockdown zählen sie zu den absoluten Gewinnern. Das gleiche gilt für Decathlon und Nike, die seit über10 Jahren ein rasantes Wachstum hinlegen und halten.

6. Viele Unternehmen könnten mögliche Kosten und Dauer der Umsetzung abschrecken. Wie viel Zeit braucht man für Konzeption und Umsetzung einer erfolgreichen Brand Strategie?

Digitalisierung hat den Weg, Marken aufzubauen, beschleunigt. Einerseits können Kunden Marken öffentlich auf Google, Facebook, Amazon, Booking, Uber etc. empfehlen oder Unmut Luft machen. Es war noch nie so einfach, ein Unternehmen zu starten. Ein Schaufenster bei Instagram oder Kickstarter beispielsweise reicht für den Anfang. Andererseits war es noch nie so schwer, sich aus dem Meer von Anbietern und Kanälen abzuheben und nachhaltig profitabel zu werden.

Ein gutes Kundenerlebnis und Innovationen helfen, den Markenwert zu steigern. Pilotierungen sind inzwischen mit digitalen Mitteln sehr schnell aufsetzbar. In einigen Städten gab es durch Covid19 spontane Initiativen, um Gastro & Einzelhandel bei der Digitalisierung zu unterstützen. Das braucht nicht zwangsweise Kampagnen, es reicht manchmal schon, digitale Tools im Kundenerlebnis besser zu nutzen: Innerhalb von 48h entstanden gute und funktionale Websites inkl. Reservierungsfunktion, eShop, Social Media, elektronisch scanbaren Menus und Lieferdienstlösungen. Die Händler gewinnen so einen neuen Umsatzkanal und bauen die Markenreputation über Service, Bewertungen und Content auf.

Das Beispiel zeigt, dass es keine Frage der Größe und des Budgets ist. Entscheidend sind Kreativität, Technologie und Empathie. Angestoßen wird der Markenaufbau durch Beratung und über konkrete Projekte, die direkte Benefits bringen. Oftmals eignen sich kleine Pilotprojekte in Teilbereichen eines Unternehmens mit einer Taskforce, die weitgehend unabhängig vom operativen Tun agieren darf. Mit den ersten Ergebnissen wird die neue Markenidee greifbarer und erfolgsversprechender für das Unternehmen – und damit wächst das Vertrauen in den Wandel. Die „neue“ Markenidee muss Teil der Kultur und das Thema vom Kunden-(mehr-)wert getrieben werden. Das braucht eine stringente Kommunikation und einen internen „Guardian of consumer & innovation“. Skalierung erfolgt dann entsprechend der Firmen-DNA und dem Erfolg beim Kunden.

7. Was sind „must haves“ in der operativen Umsetzung? Welches Team /Personal ist notwendig?

„Der Fisch stinkt vom Kopf“ sagt man. Neuerungen müssen Top Down vorgelebt werden und brauchen einen klaren Plan, Werte und schnelle Erfolge. Daher ist eine externe Begleitung sinnvoll. Keiner kann seinen Karren aus dem Schlamm ziehen, wenn er selbst am Steuer sitzt. Neues klappt nicht immer gleich beim ersten Mal, mit Erfahrung von außen lassen sich Startprobleme jedoch schnell in Erfolge umwandeln.

Gerade jetzt im Wandel der Digitalisierung und Postcovid wird klar: Wenn sich das Konsumentenverhalten ändert, braucht es neue Botschaften, um Produkte zu emotionalisieren.

Danke an unsere Leser und Sven für die Auseinandersetzung mit diesen spannenden Fragen.

Stay safe. Stay strong. Enjoy your day.

Mehr Interviews in diesem Blog auf www.2becontinued.de und linkedin.